Die Idee

Die Idee

Unter dem Motto „Attacke! Auf ins Geflecht“ werden Senior_innen und Jugendliche, organisiert vom Louisen Kombi Naht e.V., in Dresden gegen Krieg und Gewalt anstricken. Der Gegenstand der Bearbeitung: ein Panzer, über dem zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens die im Projekt gestrickte Hülle gezogen und vor dem Militärhistorischen Museum ausgestellt werden wird.

Mit dem Projekt möchte der Louisen Kombi Naht e.V. den jetzt noch aktiven Überlebenden des Zweiten Weltkriegs die Möglichkeit geben, mit einer besonderen Eindringlichkeit ihre Kriegserlebnisse an jüngere Generationen, insbesondere an die jetzt Heranwachsenden, weiterzureichen und nachdrücklich auf die Notwendigkeit eines friedlichen Miteinanders hinzuweisen. Dieses geschieht

jeden Dienstag und Mittwoch ab 15 Uhr im Louisen Kombi Naht auf der Louisenstraße 72

Zusätzlich findet einmal im Monat ein Themenabend oder Workshop in der Scheune statt, in dem unter dem Motto „Verstrickt in Erinnerungen“ immer ein bestimmtes Thema beleuchtet und diskutiert wird. Des Weiteren werden einige der Gespräche während des Handarbeitens dokumentiert und zu einem Film mit dem Titel „Geflechtsbericht“ verarbeitet.

Strickt mit an einer generationsübergreifenden friedlichen Gesellschaft!

…. und für alle, die es gerne ein bisschen ausführlicher haben wollen:

 

Grundlegendes zur „Attacke! Auf ins Geflecht“

Das Ziel des Projekts ist es durch das Einstricken eines Panzers von einer generationsübergreifenden Gemeinschaft von Menschen ein Zeichen gegen Krieg und Gewalt und für eine friedliche Gesellschaft zu setzen.

Während des Arbeitsprozesses an der Panzerhülle werden sich die Projektteilnehmenden mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Objekts der Bearbeitung auseinandersetzen. Durch den Austausch über die Entstehung, den Verlauf und die Folgen von Kriegen am Beispiel des Zweiten Weltkriegs sollen die Projektteilnehmenden die dringende Notwendigkeit eines friedlichen gesellschaftlichen Umgangs für jetzige und zukünftige Generationen erfahren – und was jeder und jede Einzelne dazu beitragen kann.

Die Panzerhülle selbst erlaubt jedem Betrachtenden einen assoziativen Zugang zu den Themen Krieg und Gewalt. Begriffe und Bilder des „Verstrickt-“ oder des “Verwickeltseins“ tauchen im Auge des Betrachtenden auf. Es wird die Frage des „Verflochtenseins“ jedes Einzelnen in komplexe historische Zusammenhänge aufgeworfen. Ist man Teil des gesellschaftlichen Gefüges, das sich schweigend über Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen von Minderheiten wie eine gestrickte Decke legt? Ist man die Masche, die sich aus diesem Geflecht löst und so darunter liegende Missstände und Gewaltstrukturen transparent werden lässt? Oder benutzt man diese Decke, um damit einen beginnenden oder schwelenden gesellschaftlichen Brand – in Form von Rassismus, Antisemitismus, sozialen Diskriminierungen – im Keim zu ersticken bevor er zu manifesten Konflikten mit gewalttätigen Mitteln der Auseinandersetzung führt?

Intergenerationaler Dialog

Das Projekt richtet sich an alle Altersgruppen, insbesondere jedoch an Jugendliche und Senior_innen. In dem Zusammentreffen mit jüngeren Menschen wird der altersbezogenen Isolation von Senioren und Seniorinnen entgegengearbeitet. Der Austausch zwischen den Generationen über die Lebenssituation des jeweils Anderen wird durch das Sich-Begegnen und Miteinander-Arbeiten gefördert. Über die Weitergabe und das Lehren von Handarbeitstechniken erfahren die Senior_innen soziale Wertschätzung und Beachtung, die ihnen im Alltag häufig fehlt. Neben der generationsübergreifenden Begegnung treffen auch Personen unterschiedlicher gesellschaftlichen Schichten aufeinander. Auf diese Weise entsteht ein milieu- und generationsübergreifendes Verständnis der Projektteilnehmenden füreinander.

Im Hinblick auf das Projektthema ist es des Weiteren das Ziel des Projekts den Senior_innen, die die Zeit des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit erlebt haben, Raum zu geben, ihre Erfahrungen an jetzt lebende Generationen weiterzureichen. Der Louisen Kombi Naht e.V. sieht in der Möglichkeit auf die Erfahrungen von Zeitzeug_innen zurückgreifen zu können, durch das diese mit einer besondere Eindringlichkeit und Nachdrücklichkeit auf die Notwendigkeit eines friedlichen gesellschaftlichen Miteinanders hinweisen, als ein großes Gut, das nicht ewig zur Verfügung stehen wird. Durch die Begegnung zwischen Senior_innen und Jugendlichen möchte der Louisen Kombi Naht e.V. einen weiten generationalen Bogen spannen, um jenen, die durch ihre späte Geburt keinen direkten biografischen Bezug zu Krieg und seinen Folgen haben, die Gelegenheit des nahen und intensiven Austauschs mit Zeitzeugen zu ermöglichen. Traumatische Erlebnisse, Fragen von Schuld, die Schwierigkeit der Erinnerung und Aufarbeitung können in Reflektionen zwischen Jung und Alt besprochen und diskutiert werden.

In den Erfahrungsberichten sollen dabei die fundamentalen Auswirkungen und die langfristigen Folgeschäden für eine Gesellschaft, die von Krieg und Gewalt betroffen war, verdeutlicht werden. In keinster Weise soll dabei das Leid von Holocaust-Opfern oder anderen verfolgten Personengruppen des Dritten Reiches mit dem erfahrenen Leid des Kriegsalltags der deutschen Zivilgesellschaft gleichgesetzt werden. In dem Projekt sollen kriegsgeprägte Einzelschicksale Gehör finden und gleichzeitig eine kontextuelle Einbettung in die Zeit des Nationalsozialismus finden. Einem platten Geschichtsrevisionismus soll im Projekt kein Raum geboten werden. Vielmehr soll in der Auseinandersetzung über die Erinnerungen an die Zeit des Krieges und dem eigenen Verhalten die Fähigkeit zum kritischen Hinterfragen und zur Differenzierung von moralisch und emotional komplexen Sachverhalten geübt werden.

Dazu soll ebenfalls der monatlich stattfindende Themenabend der Reihe „Verstrickt in Erinnerungen“ dienen. Zu den einzelnen Veranstaltungen werden Expert_innen eingeladen, die sich auf wissenschaftlicher, politischer und/oder künstlerische Ebene mit den jeweiligen Themen auseinandergesetzt und diese erforscht haben. Die Inhalte der Themenabende sollen Grundlage und Gedankenanstoß für die  Gespräche während des Arbeitens an der Panzerhülle sein.

Das Geflecht

Das Handarbeiten mit Wolle basiert auf traditionsreichen Techniken und ist ihrem Brauch entsprechend eine weiblich konnotierte Arbeit, die ausschließlich in der häuslichen Sphäre stattfindet. In dem Projekt verlässt das Handarbeiten den geschlossenen, privaten Bereich und wird Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit. Zusätzlich wird es durch das Objekt der Bearbeitung in ein anderes, neues Licht gesetzt. Das Stricken, Häkeln und Klöppeln mit Wolle erweist sich in der Konfrontation mit dem Panzer nicht als eine rückständige, überholte Technik, sondern als eine zeitgemäße Form des künstlerischen – und in diesem Falle sogar: politischen – Ausdrucks. Die im Handarbeiten entstehenden Strukturen basieren alle auf dem gleichen Prinzip – eine Masche folgt auf die nächste. Auf diese Weise entsteht ein Geflecht in der jede Masche ihren Beitrag zum Entstehen und zum Zusammenhalten des gestrickten oder gehäkelten Gegenstandes hat. Diese netzförmige Struktur ist übertragbar auf das Projekt selbst: hier entsteht ein generationsübergreifendes Netz zwischen Menschen, die einen öffentlichkeitspräsenten und -wirksamen Beitrag gegen Krieg und Zerstörung leisten. Jeder Mensch, ähnlich wie jede Masche, ist dabei von fundamentaler Bedeutung für den Erfolg des Projektes – und darüber hinaus für eine gewalt- und kriegsfreie Zukunft in der globalisierten Welt, in der wir leben.

Nicht nur das Handarbeiten selbst ist eine Tradition – die Weitergabe der Techniken von einer Generation an die nächste ebenfalls. Die Atmosphäre in einer Gruppe, in der miteinander, und doch gleichzeitig frei und unabhängig für sich nach eigenen Ideen und unterschiedlichen Mustern gehandarbeitet wird,  ermöglicht das „Plaudern aus dem Nähkästchen“. Das meditative Moment der immer gleichen Bewegungsabläufe beim Stricken und Häkeln trägt dazu bei, in Gespräch miteinander zu treten und dabei auch schwierige Themen – wie z.B. die eigene Verstricktheit – an- und auszusprechen.

Der Panzer und die Symbolhaftigkeit

Als Symbolträger für ein gestricktes Zeichen gegen Krieg ist für dieses Projekt ein Panzer ausgewählt worden. Warum ein Panzer, warum das gewählte Modell und warum zum 13. Februar?

Dresden wurde bombardiert. Wäre das Ziel des Projektes, am 13. Februar allein an die Zerstörung der Stadt Dresden zu erinnern und Dresden lediglich als Opfer alliierter Gewalt darzustellen,  würde also den historischen Gegebenheiten entsprechend sinnvoller Weise ein Fliegerbomber/Bomben etc. eingestrickt werden. Das Ziel des Projektes ist es allerdings explizit nicht ein Zeichen gegen die Bombardierung des 13.Februars 1945 zu setzen, sondern ein übergeordnetes Zeichen gegen Krieg und Gewalt. Daher bietet sich ein Panzer als leicht zu identifizierendes Kriegsgerät in verschiedener Hinsicht an. Ein Panzer, gleichgültig seiner Herkunft, ist immer ein gewaltvoller Gegenstand. Das Moment der Zerstörung ist seiner Beschaffenheit inhärent. Bereits in unkriegerischer Absicht richtet er Schaden an: die Straßen auf denen er fährt werden zerstört, der Boden auf dem er parkt, reißt durch sein Gewicht auf etc.

In dem Projekt sollen die Teilnehmenden die Scheu vor diesem Kriegsgerät verlieren und ihn als einen Gegenstand begreifen, der von Menschen  zu einem bestimmten Zwecke entworfen und erbaut wurde und ebenfalls von Menschen in seiner Funktion umgewandelt werden kann. Im Projekt wird dieses nicht von jenen geleistet, die sich durch ihr Alter und ihre Körperlichkeit (z.B. erwachsene Männer) besonders dazu eigenen, sondern durch jene, die sich auf Grund ihres jungen oder fortgeschrittenen Alters, ihrer Jugendlichkeit oder Gebrechlichkeit eigentlich explizit nicht dazu eigenen. Die Waffe ihrer Wahl ist dabei nicht Gewalt, sondern Handarbeit; der Panzer in seiner Funktion als Kriegsgerät gestoppt – nicht durch seine gewaltvolle Zerstörung, sondern durch seine neue Funktionalität als Träger von Botschaften, die die Projektteilnehmenden in seine Hülle stricken und sticken.

Der T34 ist russischer Herkunft. Mittlerweile gilt er als meistproduziertester Panzer der Welt. Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg als „Befreiungspanzer vom Faschismus“ gefeiert ist er heutzutage weiterhin in anderen Teilen der Welt als Kriegsgerät im Einsatz. Die Ambivalenz zwischen Befreiung und Zerstörung, die der T34 in sich vereint, ermöglicht eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Objekt ‚Panzer‘. Das Einstricken eines Wehrmachtspanzers beispielsweise würde ein eindeutiges, aber auch einfaches Zeichen enthalten: nie wieder Krieg, nie wieder Nationalsozialismus.

Das Selbstverständnis des Projekts ist ein klar antifaschistisches und in dem Einstricken des Panzers  will es auch ein Zeichen gegen Faschismus und Nationalsozialismus setzen. Mit der Verhüllung des T34 ist das Projekt allerdings gezwungen inhaltlich weiterzugehen und nicht in der Vergangenheit stehen zu bleiben. Es zwingt die Projektteilnehmenden zur Auseinandersetzung und Erörterung komplexer Sachverhalte, die sich jenseits einer aus heutiger Perspektive leicht einzunehmenden politischen Ablehnung von Nationalsozialismus befinden. Es fordert die Projektteilnehmenden auf, den eigenen moralischen Standpunkt mit der eigenen emotionalen Position zu konfrontieren und zu hinterfragen: wie steht der einzelne Mensch zur politischen Befreiung vom Nationalsozialismus während dieses gleichzeitig ihre oder seine psychische Traumatisierung und/oder körperliche Schädigung bedeutete? Und: wie steht das eigene Schicksal im Verhältnis zum Schicksal der Juden und Jüdinnen und anderer vom Nationalsozialismus verfolgter Personengruppen?

Auch gerade deshalb bietet sich das Projekt als eine Aktion zum 13. Februar an. Hier soll nicht das Leid der deutschen Zivilbevölkerung oder Dresdens im Mittelpunkt, sondern immer im Verhältnis zum Leid derer, die im Nationalsozialismus verfolgt und vernichtet wurden, stehen. Auf diese Art und Weise soll von den Teilnehmenden ein kritischer Umgang mit dem Jahrestag der Bombardierung geübt werden. Konstruktive Kritik am Projekt ist dabei enorm wichtig –  sie verlangt von den Projektteilnehmenden eine innere und äußere differenzierte Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Bearbeitung, seiner Historie und Symbolhaftigkeit – und der eigenen politischen und moralischen Positionierung.

Der Projektträger

Seit 2011 ist der Louisen Kombi Naht e.V. ein gemeinnütziger Verein, der aus dem Modeatelier und -geschäft Louisen Kombi Naht hervorgegangen ist. Er ist Ausdruck sozialen Engagements verschiedener Designerinnen, für die Mode mehr ist als reine Bekleidung.

Der Louisen Kombi Naht e.V. realisiert dabei unter anderem Informationsveranstaltungen zur kritischen kulturellen und politischen Auseinandersetzung mit Mode und seiner Herstellung in Form von Vortragsreihen, Foren und Diskussionsrunden. Dieses geschieht in Kooperation mit regionalen und überregionalen Initiativen, zum Beispiel mit „Sachsen kauft fair“.

Des Weiteren ist das Ziel des Louisen Kombi Naht e.V. die Förderung und Weitergabe von traditionellen Handarbeitstechniken in einem generationsverbindenden und/oder interkulturellen Rahmen. Seit dem Sommer 2011 organisierte der Louisen Kombi Naht e.V. einen generationsübergreifenden Handarbeitskreis unter dem Motto „Tu Du!“. In diesem, in Nachbarschaftshilfe zwischen jungen und älteren Bewohner_innen der Dresdner Neustadt entstandenen Treff, war durch die Teilnahme von Überlebenden des Zweiten Weltkrieges Krieg und Kriegsfolgen häufig Gegenstand der Diskussion. Aus dem Wunsch einer alternativen politischen Auseinandersetzung und Umgang mit dem Datum des 13.02. sowie dem Bewusstsein, sich durch die Anwesenheit von Zeitzeug_innen auf besondere Art und Weise intensiv mit dieser Zeitgeschichte auseinandersetzen zu können, ist gemeinsam die Idee entstanden, ein handgearbeitetes Zeichen gegen Krieg und Gewalt zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens zu setzen.

Kooperationspartner

Da der LKN e.V. über keine weiteren Waffen außer Stricknadeln verfügt, ist er Kooperationspartnerschaften mit vor Ort ansässigen Institutionen eingegangen.  Die Ausrichtung und der Inhalt des Projekts sind dabei von den Kooperationspartnern und ihrem politischen und/oder gesellschaftlichen Hintergrund unabhängig und werden von diesen in keinster Weise beeinflusst.

Zu den Kooperationspartner des LKN e.V. für das Projekt „Attacke! Auf ins Geflecht“ gehört das Militärhistorische Museum, das das Objekt der Bearbeitung zur Verfügung stellt. Die Verhüllung  des Panzers wird am Militärhistorischen Museum geschehen; der Panzer wird danach vor der Fassade des Libeskind-Baus für einige Zeit ausgestellt sein. In der Zusammenarbeit mit dem Militärhistorischen Museum – und damit einer Einrichtung, die von der Bundeswehr finanziert wird – möchte der LKN e.V. nicht zur gesellschaftlichen Legitimation von militärischer, staatlicher Gewalt beitragen – im Gegenteil. Der staatlichen Institution, die für die Anwendung von Gewalt steht, wird ihr zivilgesellschaftlicher Gegenentwurf präsentiert. Der von Jugendlichen und Senior_innen eingestrickte Panzer verweist auf eine Zukunft in der Militär und Gewalt obsolet sein werden, wenn die Mitglieder einer Gesellschaft gewillt sind, an dem friedlichen Miteinander „mitzustricken“. Dieses gilt nicht nur für unsere Gesellschaft, sondern weltweit.

Ferner konnte der LKN e.V. die Sächsische Zentrale für politische Bildung zur Durchführung der Themenreihe gewinnen. Die inhaltlichen Schwerpunkte haben sich dabei aus den Gesprächen in den Handarbeitskreisen entwickelt und greifen die Bedürfnisse nach thematischer Auseinandersetzung der Projektteilnehmenden auf.

Die Projekte „Attacke! Auf ins Geflecht“ sowie die Themenreihe „Verstrickt in Erinnerungen“ sind ein Teil des Forums 13. Februar.